Praxis für Psychotraumatherapie
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Bindungstrauma

"Sind wir schon so voreingenommen, dass wir die Zärtlichkeiten, die den Kindern lästig sind, für echte Liebe zum Kinde halten? Begreifen wir denn nicht, dass wir es sind, die Zärtlichkeiten beim Kinde suchen, wenn wir es an uns ziehen; uns, wenn wir ratlos sind, in seine Arme flüchten, dass wir in Stunden ohnmächtiger Schmerzen und grenzenloser Verlassenheit bei ihm Schutz und Zuflucht suchen, und ihm die Last unseres Leidens und unserer Sehnsucht aufbürden?

 

                                                 Janusz Korczak

 

Rund 15.000 Mal im Monat wird der Begriff ‚Bindungsangst‘ bei google eingegeben. Viele Menschen wandern von einer Kurzbeziehung zur nächsten und scheuen sich, eine feste Bindung einzugehen. Dennoch sehnt sich jeder nach liebevollem Kontakt und Geborgenheit. In der Esoterikszene werden ‚Kuschelkurse‘ angeboten und Liebesfilme haben nach wie vor Hochkonjunktur. Woher also kommt die Bindungsangst?

 

Hat ein Kind seine Eltern verloren oder sind sie gewalttätig, ist die Situation traumatisch, aber eindeutig. Verwirrender ist es, wenn seine Eltern zwar da, emotional aber nicht wirklich erreichbar sind. Bekommen wir als Kind nicht den liebevollen Kontakt den wir brauchen, wachsen wir zu einem Menschen heran, der einerseits Kontakt ersehnt und andererseits Angst davor hat. Hinter einer Angst vor Nähe steckt immer ein sehr großes Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. In den ersten Lebensjahren sind wir darauf angewiesen, dass unsere Mutter unsere Bedürfnisse erkennt und angemessen und feinfühlig darauf eingeht. Deshalb bildet die Mutter-Kind-Beziehung den Erfahrungshintergrund für alle späteren Beziehungen. Unser Selbst entwickelt sich aus dieser frühen zwischenmenschlichen Beziehung und eine gute Bindungserfahrung stellt einen Schutzfaktor für eine gesunde psychische Entwicklung dar. Das verinnerlichte Bindungsmuster prägt unsere Sicht von uns selbst und von der Welt. Nur ein Kind, das eine sichere Beziehung erlebt hat, wird später auch selbst in der Lage sein, sich auf einen anderen Menschen einzulassen und überdauernde Beziehungen einzugehen. Es traut sich selbst etwas zu und ist in der Lage, anderen Menschen zu vertrauen. Scheitern wir daran, eine sichere Bindung zu unserer Mutter aufzubauen, erleiden wir ein Bindungstrauma.

 

Die Kommunikation zwischen Mutter und Kind geht in erster Linie von Unbewusst zu Unbewusst vor sich. Wie viele von uns haben von ihren Eltern immer wieder gehört, wie sehr sie uns lieben? Und wie viele von uns fühlten sich wirklich geliebt? Oft konnten unsere Eltern uns nicht um unserer selbst willen lieben, weil sie selbst niemals um ihrer selbst willen geliebt worden sind. Auch sie haben ihre Ängste und unerfüllten Kindheitsbedürfnisse vor langer Zeit abspalten müssen. Verdrängung von dem, was schmerzhaft ist, führt zu jenem Unbewusstsein, bei dem Eltern die psychische Angst ihres Kindes nicht sehen. Denn sie müssten dann auch ihren eigenen verdrängten Schmerz fühlen. Auch wenn sie mit dem Kind täglich zusammen sind, erreicht die Erkenntnis der inneren Not ihres Kindes nicht ein einziges Mal ihr Bewusstsein.

 

Aus der Bindungsforschung wissen wir, dass traumatisierte Eltern, die ihre Traumatisierung nicht bewusst verarbeitet haben, mit hoher Wahrscheinlichkeit bindungsgestörte Kinder ‚produzieren‘. Traumatisierte Eltern sind innerlich bedürftig und besonders die Mütter neigen dazu, ihre Kinder emotional zu vereinnahmen. Sie suchen Halt bei ihrem Kind. Manche Mütter betrachten ihr Kind gar nicht als eigenständiges Wesen, sondern gewissermaßen als Teil ihrer Selbst. Diese Pervertierung mütterlichen Fürsorgeverhaltens wirkt sich für die Identitätsentwicklung eines Kindes sehr zerstörerisch aus. Anstelle einer eigenen stabilen Ich-Identität sind wir dann mit der Identität unserer Mutter und ihren Bedürfnissen identifiziert. Es gibt keine klaren Ich-Grenzen auf beiden Seiten und wir können nicht mehr spüren, was wirklich zu uns gehört. Eine altersgerechte Ablösung aus der symbiotischen Mutterbindung wird dadurch nahezu unmöglich. Später haben die Betroffenen oft ein besseres Gespür für die Bedürfnisse und Erwartungen anderer Menschen als für sich selbst. Sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen haben sie schon sehr früh, präverbal gelernt.

Aus solchen Konstellationen entstehen lebenslange gegenseitige psychische Abhängigkeiten. Ein eigenes autonomes Leben mit stabiler Partnerschaft, eigener Familie und erfüllendem Beruf sind kaum zu verwirklichen, sofern wir nicht aus der Abhängigkeitsbeziehung aussteigen und an der eigenen Identitätsentwicklung arbeiten.

 

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