"Jeder Mensch hat wohl in sich eine mehr oder weniger vor sich selbst verborgene Kammer, in der sich die
Requisiten seines Kindheitsdramas befinden.
Die einzigen Menschen, die mit Sicherheit Zutritt zu dieser Kammer bekommen werden, sind seine Kinder. Mit den eigenen Kindern kommt neues Leben in die Kammer,
das Drama erfährt seine Fortsetzung."
Alice Miller
Traumatische Erfahrungen sind mit der sie direkt erlebenden Generation noch lange nicht ausgestanden. Verdrängung bewirkt, dass traumatische Inhalte, Verhaltensweisen und Überlebensmechanismen von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Bei der Zeugung eines Kindes wirken immer auch ungelöste Konflikte in der Partnerschaft und mit den eigenen Eltern mit. Sofern zusätzlich unverarbeitete Traumatisierungen vorliegen, so spielen auch diese über die Psyche der Eltern eine Rolle für das Kind. Traumatisierte wünschen sich nichts sehnlicher, als ihre Erfahrung ungeschehen zu machen. Sie spalten das Erlebte total ab. Leider wird dadurch die nachfolgende Generation in den abgespaltenen Erlebnishorror eingewoben und die Wunden der Eltern übernommen. Kinder sind hochempfindsam im Erspüren von Stimmungen und Atmosphären. Auch das unausgesprochene innere Erleben der Eltern vermittelt sich über subtile Botschaften auf einer tiefen Wahrnehmungsebene. Über die Suche nach emotionalem Kontakt werden die Traumagefühle der Vorgeneration von den Kindern regelrecht aufgesogen. Kinder sind wahre Meister darin, sich in ihre Eltern hineinzuversetzen und erspüren gerade das, was diese zu verbergen versuchen. Tabuthemen, Familiengeheimnisse, doppelte Botschaften und besonders elterliche Bedürfnisse werden nonverbal erfasst und energetisch übernommen. Durch diese unbewusste Übernahme wird uns unbemerkt ein kompliziertes Gefüge von verstrickten Zusammenhängen installiert. Das Kind schlüpft gleichsam in die Identität seiner Eltern hinein. Die eigene Ich-Entwicklung wird dadurch natürlich blockiert.
In solchen ‚verstrickten‘ Familien gibt es immer Menschen, die in der Täterrolle und solche, die in der Opferrolle sind. Untereinander führen sie destruktive Beziehungen. Täter und Opfer leben zusammen und sind voneinander psychisch abhängig. Sowohl aus Opfer- wie aus Tätergefühlen heraus, werden Kinder für die eigenen Bedürfnisse emotional missbraucht, was zu einem fatalen mehrgenerationalen Kreislauf führt, sofern er nicht durch eine gründliche Aufarbeitung unterbrochen wird.