"Wir sind verantwortlich für das, was wir tun,
aber auch für das, was wir nicht tun."
Voltaire
All unsere Erfahrungen hinterlassen Spuren, die frühen ganz besonders. In der Schwangerschaft und frühen Kindheit werden unsere psychischen und neuronalen Grundlagen verankert, die später darüber entscheiden, wie wir uns selbst wahrnehmen, wie wir unsere Umwelt einschätzen und interpretieren, wie wir Beziehungen gestalten und wie wir mit Herausforderungen umgehen. Schädliche Erfahrungen in der Kindheit können sich in erheblichem Umfang auf das spätere Leben auswirken und sowohl uns selbst als auch unsren Partnern und Kindern zusetzen.
Werden bei einem Trauma unsere psychischen Verarbeitungsmechanismen überfordert, wird die nicht aushaltbare Realität vom fühlenden Bewusstsein abgespalten und ins Unbewusste verdrängt. Oft fehlt später jede Erinnerung daran. Es kommt zu einer inneren Fragmentierung, einer psychischen Spaltung. Wir leben dann in einer Art ‚Überlebensmodus‘ weiter, unsere psychische Ganzheit wurde jedoch preisgegeben.
Gehen die Verletzungen von unseren engsten Bezugspersonen aus ist die Situation besonders unerträglich. Bei solchen zwischenmenschlichen Traumatisierungen entsteht eine tief greifende ‚Täter-Opfer-Spaltung‘. Wir beherbergen dann opferidentifizierte und täteridentifizierte Anteile in uns. Auf diese Weise werden wir leicht wieder zu Opfern oder zu Tätern (an uns selbst oder anderen).
Die negativen Folgewirkungen einer Traumatisierung in der Kindheit schwächen sich über die Zeit nicht ab. Meist stellen sich Traumafolgesymptome sogar erst viele Jahre später ein. "Die Zeit heilt alle Wunden" gilt nicht für Trauma. Was immer wir in die Tiefen unseres Unbewussten verdrängt haben, es ist nicht weg. Im Gegenteil! Traumaerinnerungen können nie vollständig verdrängt werden. Frühe Schädigungen und Traumatisierungen wirken sich unverhältnismäßig stark auf das implizite Gedächtnis aus. Die entsprechenden Erinnerungen, die der bewussten Wahrnehmung häufig nicht zugänglich sind, werden unbewusst in Alltagssituationen, in der Interaktion mit anderen oder auf körperlicher Ebene reinszeniert oder wachgerufen. Da unsere Psyche nach Integration strebt, inszeniert sich traumatisches Erleben immer wieder, wie unter einem unbewusst gespeisten Wiederholungszwang. Dadurch wird unser aktuelles Leben, der Umgang mit Herausforderungen und Menschen, oft schwer belastet. Unser Leben wird zu einer endlosen Wiederauflage der verdrängten Kindheitserfahrungen.
Durch Trigger drohen die abgespaltenen unbewussten Inhalte immer wieder an die Oberfläche zu gelangen. Um die abgespaltenen traumatische Erfahrungen im Unbewussten zu halten, entwickeln wir verschiedene ‚Überlebens‘-Strategien. Die meisten Unternehmungen zur Linderung oder Ablenkung (Essen, Arbeit, Alkohol, Rauchen, Sex, Sport etc.) bewirken aber nur eine kurzfristige Erleichterung und müssen stets wiederholt und im Laufe der Jahre gesteigert werden, weil sich Schmerz und Spannung aus dem inneren Speicher immer wieder aufbauen. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, müssen wir die Bereitschaft entwickeln und uns unserem eigenen Unbewussten zuwenden.